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Reisebericht
Die Köhlerschildkröte im Land des Wassers
von Thomas und Sabine Vinke
Der Artikel erschien erstmalig im TESTUDO, Vereinszeitschrift der SIGS, Ausgabe
März 2004.
Allgemeines
Wenn man Geochelone carbonaria pflegen möchte, ist es von grosser Bedeutung,
die Schildkröten ihrer ungefähren Herkunft zuordnen zu können. Natürlich gilt das
in gewissem Sinne für alle Schildkrötenarten, da man bei einer geplanten Nachzucht
immer darauf achten sollte, Tiere in einer Gruppe zusammenzustellen, die möglichst
gut zueinander passen. Oftmals bleibt sonst der erwünschte Fortpflanzungserfolg
aus (VINKE T. & S. 2004). Für Köhlerschildkröten gilt das aber in besonderem
Masse, da diese auch vollkommen unterschiedliche Klimazonen und Habitate bewohnen.
Ihr Verbreitungsgebiet reicht im Norden von Panama über Kolumbien, Venezuela, die
Guayana-Länder bis Brasilien und im Süden von Bolivien und Paraguay durch das südliche
Brasilien bis nach Argentinien (IVERSON 1992). Darüber hinaus wiesen CARILLO DE
ESPINOZA, N. & G. LAMAS (1985) ein Vorkommen der Köhlerschildkröte in Peru nach.
Das entspricht einem Vorkommen vom 12. Grad nördlicher Breite über den Äquator hinaus
bis zum 25. Grad südlicher Breite, bzw. einer Nord-Süd-Ausdehnung von fast 4000
km. Das reicht vom Tageszeitenklima der immerfeuchten Tropen, bis zum sommerheissen
und wintertrockenen Jahreszeitenklima.
Einen ersten Versuch, die verschiedenen Köhlerschildkröten zu typisieren, machten
PRITSCHARD & TREBBAU bereits im Jahr 1984. Sie teilten die Köhlerschildkröte
in sieben Formen ein. Diese Einteilung ist jedoch zum Teil fehlerhaft, beispielsweise
bei der Zuordnung der so genannten „Cherry-Heads“ oder „Kirschköpfe“ zu Paraguay
(VINKE T. & S. 2001) und vor allem ist es sehr schwierig, seine Schildkröten
dort allein anhand der Beschreibungen einzuordnen.
Beschränkt man sich dagegen zunächst auf drei übergeordnete Formen, nämlich die
nördlichen, tropischen Köhlerschildkröten, die südlichen subtropischen und die „Cherry-Heads“,
so kann man diese mittels des Plastrons ganz einfach auseinander halten. Nördliche
Köhlerschildkröten haben ein helles, gelbes bis hornfarbenes Plastron, in dessen
Mitte man zwei ineinander übergehende dunkle symmetrische Figuren ausmachen kann.
Das Plastron der südlichen Köhlerschildkröten ist einheitlich dunkel, lediglich
an den äussersten Schildkreuzungen gibt es jeweils einen kleinen, hellen Fleck.
Die Kirschköpfe hingegen haben ein über das ganze Plastron verteiltes Fleckenmuster.
Natürlich gibt es noch weitere Unterscheidungsmerkmale, aber die Betrachtung des
Plastrons reicht völlig aus und ist im Gegensatz zu den anderen Kriterien auch eindeutig.
Morphologie der Köhlerschildkröte aus den Guayanas
Wir werden uns im Folgenden auf die Beschreibung der nördlichen Köhlerschildkröten
beschränken, genauer gesagt, die in den Guayanas lebende Form, da wir diese selbst
gehalten haben und ihren Lebensraum in Französisch-Guayana auch besucht haben -
auch wenn bereits einige andere Autoren ihre Erfahrungen mitgeteilt haben (vgl.
MEDEM 1958, 1960, 1962, 1969, MÉTRAILLIER & LE GRATIET 1996, KORNACKER &
MEYER ZUR HEYDE 1998). Die wie oben beschriebene leicht zu identifizierende nördliche
Form zeichnet sich neben der eindeutigen Plastronfärbung vor allem dadurch aus,
dass die Männchen üblicherweise eine deutlich sichtbare Taille und eine tiefe Eindellung
des Plastrons aufweisen. Auch diese Merkmale grenzen sie von den südlichen Verwandten
eindeutig ab. Ihre durchschnittliche Grösse liegt im mittleren Bereich, bei etwa
30 bis 35 cm.
Ist die Färbung der Köhlerschildkröten im südlichen Teil des Kontinentes völlig
variabel, so unterscheiden sich die nördlichen Tiere diesbezüglich nach ihrer geografischen
Herkunft. Köhlerschildkröten aus Französisch-Guayana sind besonders farbenprächtig.
Der Kopf und die Extremitäten sind von schwarzer Grundfarbe mit gelben oder orangeroten
Flecken. Die farbigen Bereiche der vorderen Stirnplatte und der Nasenpartie sind
grundsätzlich gelb. Der hintere Teil des Kopfes und der Wangen enthält im Gegensatz
zu weiter westlich vorkommenden Exemplaren wenig Gelb, sondern mehr Orange. Der
Hals ist fast einheitlich schwarz mit unregelmässigen, vereinzelten kleinen orangen
Flecken. Beine und Schwanz haben zahlreiche orangerote Schuppen, die sich an den
Hinterbeinen bis unter die Fusssohlen fortsetzen. Die Männchen sind grundsätzlich
intensiver gefärbt als die Weibchen.
PRITCHARD & TREBBAU (1984) vermuten, dass die Färbung am kräftigsten ist, wenn
die Köhlerschildkröten in der Nähe oder gar sympatrisch mit der Waldschildkröte
vorkommen. Dies könne der Vermeidung ausserartlicher Geschlechtsaktivitäten dienen.
AUFFENBERG (1965) beschrieb, dass die Kopffärbung als Mittel der Arterkennung bei
Köhlerschildkröten eine grössere Rolle spielt als bei Waldschildkröten. Diese Theorie
bezüglich der Farbintensität könnte unsere Beobachtung der herkunftsabhängigen Zeichnung
unterstreichen, da die Savannen als Lebensraum der Köhlerschildkröte in den Guayanas
von Westen nach Osten immer schmaler werden und somit ein Zusammentreffen mit der
Waldschildkröte immer wahrscheinlicher wird.
Das Klima in Französisch-Guayana
„Guayana“ heisst „Land des Wassers“ und bezeichnet eine Grosslandschaft, die sich
zwischen Atlantischem Ozean, dem Amazonas und dem Orinoco erstreckt. In diesem 1,5
Millionen km2 grossen Gebiet liegen Teile von Brasilien und Venezuela, die Staaten
Republik Guyana (ehemals Britisch-Guayana) und Surinam (ehemals Niederländisch-Guayana)
und Französisch-Guayana als Teil des französischen Überseedepartements Outre Mer.
Der überwiegende Teil der Guayanas besteht aus Bergland, das zum Atlantik und zum
Amazonasbecken hin stark abfällt. Die häufigste Vegetationsform ist der tropische
Regenwald. Grassavannen – die im Norden den Lebensraum der Köhlerschildkröten bilden
– findet man hauptsächlich küstennah, aber auch vereinzelt im Landesinneren.
Das Klima in dieser Zone wird dem Typ „Af“ zugeordnet, der von KÖPPEN (zitiert in
MÜLLER 1996: S. 14-16), wie folgt definiert wird: „Tropische Regenklimate ohne kühle
Jahreszeit. Die Mitteltemperatur des kältesten Monats ist > 18 °C, eine ausgesprochene
Trockenzeit fehlt“. Insgesamt kann man sagen, dass sich die Temperaturen innerhalb
der Guayanas wenig unterscheiden, lediglich die Niederschläge steigen von Westen
nach Osten an und die trockenere Phase wird ebenfalls nach Westen hin ausgeprägter.
In Französisch-Guayana dauert die eigentliche Regenzeit zehn Monate (November bis
August). Die Verteilung der Niederschläge ist sehr unterschiedlich. In Sinnamary,
das küstennah im Savannengürtel liegt, wird für die Jahre 1956-1960 als jährliche
mittlere Niederschlagsmenge 2886 mm angegeben. Das absolute Maximum lag innerhalb
dieses Zeitraumes bei 3980 mm. Manchmal fällt im März etwas weniger Regen als in
den übrigen Monaten. Die Einheimischen nennen die Phase „petit été de mars“ (kleiner
Märzsommer). Die Trockenzeit liegt zwischen September und Oktober. Allerdings ist
der Begriff eher verwirrend. Zwar fällt in diesen Monaten weniger Niederschlag als
von der Natur verbraucht wird, sodass es sich per Definition um eine Trockenzeit
handelt, aber es regnet immer noch 30-40 mm pro Monat (HOOCK 1971). Der monatliche
Mittelwert der Tageshöchsttemperaturen liegt zwischen 31-34° C, der Mindesttemperaturen
zwischen 25-26° C (Werte für Cayenne; MÜLLER 1996). Jahreszeitliche Abweichungen
bezüglich der Temperaturen gibt es nicht. Da die Temperaturschwankungen innerhalb
des Tagesverlaufes grösser als die Abweichungen innerhalb des Jahres sind, spricht
man hier auch von Tageszeitenklima.
Der Lebensraum in Französisch-Guayana
Bei unserem Aufenthalt in Französisch-Guayana durchsuchten wir Regenwälder, Feucht-
und Trockensavannen. Wie erwartet, wurden wir nur in der Trockensavanne fündig.
Der einzige uns bekannte Hinweis auf ein Vorkommen im Regenwald dieser Region stammt
von HOOGMOED (zitiert in PRITCHARD & TREBBAU 1984: S. 216) für Surinam. FRETEY
(1977) hält auch ein Regenwald-Vorkommen am oberen Oyapock in Französisch-Guayana
für möglich, da die dort lebenden Indianer einen zweiten Namen für eine Landschildkröte
benutzen. Beide Hinweise wurden aber bisher niemals bestätigt.
Die meisten der Wälder sind zum Grossteil überschwemmt und zeichnen sich durch Vegetationsarmut
am Boden aus. Die Feuchtsavannen sind dagegen zu dicht bewachsen, sodass kaum Licht
zum Boden dringt und stehen dazu stark unter Wasser. Wir gehen daher davon aus,
dass weder Regenwald noch Feuchtsavanne einen geeigneten Lebensraum darstellen.
Am ehesten geeignet erschienen uns die Trockensavannen, doch auch hier zeigten sich
grosse Teile als zu unwirtlich für Schildkröten. Sie sind ausschliesslich mit etwa
15 cm hohem Cyperusgras bewachsen und bieten den Schildkröten weder Deckung noch
Nahrung. Die Grasgebiete sind ausserdem mit unzähligen kleinen Bächen und temporären
Teichen durchzogen. Der Boden ist vollständig mit Feuchtigkeit gesättigt. Je mehr
wir uns den Galeriewäldern näherten, umso öfter trafen wir auf grosse, etwas höher
gelegene, trockene Inseln, die sich sofort durch eine üppigere Vegetation auszeichnen.
Sie bestehen hauptsächlich aus Schlingpflanzen und flach wachsenden dichten Büschen,
die zum überwiegenden Teil sehr dickblättrig und faserreich sind. Die Artenvielfalt
unter den Pflanzen ist beträchtlich. Allerdings gab es keine Hinweise auf früchtetragende
Pflanzen. Darüber hinaus steht den Köhlerschildkröten hier eine grosse Anzahl von
in der Sonne und im Regen verendeten Fröschen und Insekten zur Verfügung, und überall
sahen wir Insektenlarven und fingerdicke Regenwürmer, die den Köhlerschildkröten
eine leichte Beute bieten.
Die flach wachsenden Büsche dienen den Schildkröten als einziger Unterschlupf; deshalb
haben wir dort Temperaturmessungen vorgenommen. An einer unter einem Busch versteckten,
ruhenden Geochelone carbonaria wurde bei klarem Himmel und Sonnenschein eine Temperatur
von 36° C festgestellt. Weitere Temperaturmessungen an dieser Stelle ergaben, dass
die Minimumtemperatur nachts bei klarem Himmel lediglich auf 26° C abfiel. Bei bewölktem
Himmel oder Regen betrug das Tagesmaximum 32° C, nachts blieb es dann noch 29° C.
Die von uns gemessenen Temperaturen in den nahegelegenen Galeriewäldern sind annähernd
identisch, bis auf ein etwas geringeres Tagesmaximum (32° C).
Beobachtungen unter semi-natürlichen Bedingungen
Interessante Beobachtungen zur Vorzugstemperatur konnten wir in einem Tierpark in
der Nähe des Habitates machen. Hier lebten etwa 10-15 Geochelone carbonaria
zusammen mit etwa gleich vielen Geochelone denticulata in einem sehr grosszügig
eingezäunten, naturbelassenen Savannenabschnitt. Die Tiere ernährten sich dort wohl
ausschliesslich selbst, sodass man davon ausgehen kann, dass nur wenige unnatürliche
Faktoren ihren Tagesablauf störten. Das Gehege war vom Parkplatz aus einsehbar,
sodass wir die Tiere während verschiedener Tageszeiten und Wetterlagen beobachten
konnten. Daraus ergab sich, dass die Köhlerschildkröten an sonnigen Tagen nur früh
morgens zu sehen waren. Ab etwa 10:00 Uhr stellten sie alle Aktivitäten ein und
zogen sich wegen der hohen Temperaturen in der Sonne in ihre Verstecke zurück. (Die
bestrahlte Fläche wird laut GRÜNEWALD (1982) bis zu 70° C heiss). Bei bewölktem
Himmel und 32° C waren die Tiere ganztägig unterwegs, und man konnte sie bei der
Nahrungsaufnahme und Paarung beobachten. Dies schien ihre Vorzugsumgebungstemperatur
zu sein. Bei Regen mit gleichen Temperaturen blieben sie jedoch in ihren Verstecken.
Auch wenn sich diese Beobachtungen lediglich auf einen Zeitraum von drei Wochen
beziehen, kann man dennoch einige allgemeine Schlüsse daraus ziehen, da in Französisch-Guayana
die Jahreszeiten lediglich eine untergeordnete Rolle spielen.
Schlussfolgerungen für die Haltung
Für die Haltung dieser Köhlerschildkrötenform haben wir von unserer Reise vor allem
folgende Haltungsparameter mitgebracht bzw. bestätigt bekommen:
Die Köhlerschildkröten in den Guayanas leben bei gleich bleibend hohen Temperaturen,
die auch nachts kaum absinken. Die Luftfeuchtigkeit ist ständig sehr hoch. Trotz
der vielen Niederschläge trocknen die Böden schnell ab, sodass die Tiere niemals
langfristig auf nassem Boden leben. Die Nahrung besteht aus rohfaserreichen Blattpflanzen
bzw. Gras, tierische Nahrung ist häufig erreichbar. Obst gibt es faktisch nicht.
Die häufig zitierte Arbeit von MOSKOVITS & BJORNDAL (1990) schildert, wie die
Erstautorin in ihrer Dissertation auch selbst angibt (Moskovits 1985), eine besonders
ideale Umgebung auf einer Insel mit angepflanzten Obstplantagen. Vor allem letztere
Beobachtungen brachten uns damals dazu, die Ernährung unserer Köhlerschildkröten
umzustellen, was wir auch heute noch für eine deutliche Verbesserung der vorher
unbefriedigenden Schlupfergebnisse verantwortlich machen (VINKE T. & S. 2000).
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SIGS
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